Reisetagebuch
Sonntag, 21. Mai 2006: Tonga soa willkommen in MadagascarNach zehnstuendigem Flug ab Paris landen wir gegen 22:00 Uhr in Antananarivo. Tana, wie die Hauptstadt Madagascars kurz genannt wird, liegt im Herzen der Insel, auf 1.000 m Hoehe. Nachdem die etwas umstaendlichen Einreise- und Zollformalitaeten erledigt sind, erwarten uns bereits Jean-Noel und Odette Forschle, „unsere“ Madagascar-Missionare. Ein angenehmer Empfang – vom fremden Land ist noch nichts zu spueren.
Montag, 22. Mai 2006: AlasoraKurz nach 6:00 Uhr wecken uns die Geraeusche Afrikas: auspufflos roehrende Autos, Hupen, Hundegebell, Kinderlaermen. Die Sonne scheint. Aus dem Fenster sehen wir gruene Blaetter und rote Erde. Wir sind angekommen!
Gegen 9:00 Uhr holen wir mit Jean-Noel den befreundeten Pastor Lucien ab und fahren nach Alasora (einer der unzaehligen Vororte von Tana), um dort den Buergermeister zu sprechen. Der Vorort besteht aus 5 Doerfern, in einigen von ihnen gibt es noch keine Schule. Lucien hat vor einigen Monaten deswegen mit seinen eigenen Mitteln eine Schule gebaut und betreibt diese nun zusammen mit ein paar Freunden aus La Réunion. Nur: fuer die eigentlich notwendige Schulspeisung fehlen die Mittel.
Der Buergermeister ist leider nicht da, sein Vertreter empfaengt uns aber freundlich. Ja, sie koennten noch mehr Hilfe fuer ihre Kinder brauchen. Der Buergermeister wird baldmoeglichst zu einem Gespraechstermin ueber Einzelheiten einladen.
Anschliessend besuchen wir noch Luciens Schule und lernen dort auch den einheimischen Pastor der Pfingstgemeinde vor Ort kennen. Dank Jean-Noels allradgetriebenem Gelaendewagen gelangen wir auch zu einer Baracke, die das Gemeindezentrum der Pfingstgemeinde darstellt. Direkt daneben liegt ein Grundstueck, das zum Verkauf steht. Von hier geniessen wir einen herrlichen Ausblick auf die Huegel des Hochlands und die umliegenden Doerfer. Die Vision, hier ein Kinderheim mit angegliederter Schule und Gesundheitszentrum zu bauen, begeistert uns.
Am Nachmittag treffen wir noch auf weitere einheimische Pastoren und Kirchenfuehrer. Jean-Noel geniesst bei ihnen einen erkennbar sehr guten Ruf.
Dienstag, 23. Mai 2006: Kontrastprogramm MadagascarWir haben Jean-Noel gebeten, uns im Zentrum von Tana abzusetzen. In abgasgeschwaengerter Luft, Verkehrschaos und Massen von Menschen versuchen wir, uns zu orientieren. Vergeblich. Nach weniger als 1 km landen wir in einem Gruenstreifen inmitten einer Gruppe von Kindern, die hier im Freien hausen. Wenige Schritte weiter sehen wir Erwachsene, die wohl auch hier leben. Wir tun es den anderen Passanten gleich und laufen vorbei, als ob alles in bester Ordnung waere. Und es stimmt ja auch: Tana fasziniert. Die Stadt liegt wunderschoen auf mehreren Huegeln. Die Fremdartigkeit der Kultur zieht uns in ihren Bann. Trotz der Menschenmassen begegnet uns ueberall Freundlichkeit und Friedfertigkeit. Aber auch bittere Armut: die wenigsten hier koennen sich Schuhe leisten, Kinder schlafen am Strassenrand, Bettler ueberall, auch viele juengere Menschen haben schon ihre Vorderzaehne verloren.
Den Rueckweg machen wir im Taxi-Brousse: 30 Menschen in einem Mercedes-Bus, der in Deutschland als 9-Sitzer unterwegs ist: kein Problem!
Mittwoch, 24. Mai 2006: Centre FitahianaBesuch im Centre Fitahiana. Odette und Jean-Noel haben es 8 Jahre lang zu dem gemacht, was es heute ist: eine Schule fuer 160 Kinder, ein Mittagstisch fuer ueber 200 Kinder, ein Gesundheitszentrum mit eigener Aerztin, Krankenschwester und Apotheke, ein Wohnort fuer ein halbes Dutzend Mitarbeiter – eine Oase des Lebens. Im Januar haben sie die Leitung des Zentrums an ihre Nachfolger, ein von ONG France-Madagascar gesandtes Ehepaar, uebergeben. Heute kommen sie, wie wir auch, als Besucher. Der Empfang ist herzlichst. Unzaehilge Kinderhaende strecken sich uns zur Begruessung entgegen. Die Mitarbeiter verhehlen ihre Trauer darueber, dass Odette und Jean-Noel nicht mehr da sind, nicht.
Odette fuehrt uns in eine Schulklasse. Der Unterricht wird fuer uns unterbrochen, die Kinder singen zuer Begruessung auf Deutsch: „Gott ist die Liebe“. Ich muss am die Strassenkinder vom Vortag denken und kaempfe mit den aufsteigenden Traenen. Ich werde gebeten, den Kindern etwas zu sagen, kann es aber nicht. Mir fehlen die Worte und die Stimme. Die meisten Kinder wurden in den zurueckliegenden Jahren von Pateneltern aus Deutschland (hauptsaechlich Karlsruhe und Kehl) versorgt. Auch unser Patenkind Patrick sitzt in der Klasse. Ein paar Euro monatlich – und ein so grosser Wert im Leben eines Kindes. Gott ist die Liebe!
Wir gehen weiter, ergriffen von der Atmosphaere der Geborgenheit und Hoffnung, die ueber diesem Ort liegt. Odette zeigt uns ein Zimmer: hier haben sie und Jean-Noel 2 Jahre lang gelebt, auf engstem Raum und mit einem Gemeinschaftsbad fuer alle Mitarbeiter. Spaeter konnten sie sich dann eine 2-Zimmer-Wohnung mit Kueche und Bad bauen: fuer Madagascar grosszuegig, fuer uns einfach. Wir spueren, wie viel Liebe, Herzblut und Lebenskraft Jean-Noel und Odette in dieses Zentrum und die Menschen dort investiert haben. Und wie viel Segen von ihnen ausgegangen ist.
Wieder ueberkommen mich die Emotionen. Aber nicht nur mich: Simone und Odette liegen sich mit Traenen in den Augen in den Armen. Jean-Noel lenkt sich ab und durchstoebert in der Zwischenzeit einen Schuppen.
Spaeter, nach dem Mittagessen, gelingt es uns, nach vorne zu schauen: Madagascar braucht noch viel mehr solcher Zentren!
Donnerstag, 25. Mai 2006: Tour du Sud de MadagascarGemeinsam mit Jean-Noels Freund Roger und unserem Fahrer Erie brechen wir auf zu einer Tour in den Sueden der Insel. Wir fahren durch wunderschoene Hochtaeler, tauchen in den Doerfern ein in das bunte Marktleben, geniessen die Sonne bei angenehmen Temperaturen. Abseits der einzigen und geteerten Hauptstrasse verrichtet der Allrad-Toyota gute Dienste.
Freitag, 26. Mai 2006: Nationalpark und BettlerWanderung im Ramanofana-Nationalpark. Dank der geschulten Augen und Ohren unseres einheimischen Guides staunen wir ueber die Unmengen an exotischen Pflanzen und die Lemuren, die es nur auf Madagascar gibt.
Unterwegs an der Strasse dann wieder der bittere Kontrast: Fast nackte Kinder, nur schmuztige Lumpen am Leib. Wie sollen wir uns verhalten? Gerne wuerden wir von unserem Ueberfluss etwas abgeben. Aber damit wuerden wir die Kinder auch zum Betteln erziehen. Bei Erwachsenen Bettlern, die meist auch ein Handicap haben, ist das einfacher. Fuer sie ist Betteln die einzige Moeglichkeit zu ueberleben.
Samstag, 27. Mai 2006: Angele und YvanneZugfahrt an die Ostkueste: Herrlicher Regenwald wechselt sich ab mit Bananen- und Reisfeldern.
Die Gedanken wandern zurueck zu Odette und Jean-Noel. Genauer gesagt zu Angele, der 6jaehrigen Pflegetochter der beiden. Die Mutter ist verschollen, ihr Vater war mit dem Kind ueberfordert und konnte es auch nicht ernaehren. Unterernahert und aufgequollen, mit 10 cm langen Wuermern im Bauch, gab er das Kleinkind bei den Weissen ab. Inzwischen ist Angele gut genaehrt, gluecklich, geht zur Schule und spricht sogar ein wenig Deutsch mit uns. Odette ist Mama und Jean-Noel ist Papa fuer sie, die beiden haben sie wie ein Adoptivkind aufgenommen.
Dann ist da noch Yvanne, das Dienstmaedchen. So koennte man es abwertend formulieren. Sie kommt aus einem kleinen Urwalddorf an der Ostkueste. 20 Jahre alt ist sie. Dank ihrer Anstellung im Hause Forschle kann sie 3 Mal in der Woche eine Schneiderinnen-Schule besuchen und am Ende einen Gesellenbrief als Schneiderin erhalten. Jean-Noel hat ihr zum Abschluss eine eigene Naehmaschine versprochen. Irgendwie gehoert sie mit zur Familie.
Sonntag, 28. Mai 2006: ZugfahrtWieder im Zug. Dieses Mal geht es landeinwaerts – mit vielen langen Be- und Entladestopps in einsamen Urwalddoerfern. Viele der Doerfer sind ohne Strom. Die Menschen leben von der Bananen- und Mandarinenernte, vom Reisanbau und dem Handel entlang der Bahnlinie. Ueberall Freundlichkeit, viele lachende Kinder, die uns weissen „Vazaha“ verzueckt zuwinken und sich ueber leer getrunkene Flaschen, einen Kuli oder ein paar Erdnuesse freuen, wie sich nur Kinder freuen koennen.
Die Stimmung ist sonntaeglich-gemuetlich. Viele tragen ihre besseren Sonntagskleider, in einem Dorf hoeren wir froehliches Singen aus einer Kirche.
Montag, 29. Mai 2006: moramoraUm 6:00 Uhr heute frueh sind wir mit dem Zug in Fianarantsoa angekommen. Statt der geplanten 9 Stunden hat die Zugfahrt 23 Stunden gedauert. Das war trotz 1. Klasse nicht ganz so gemuetlich. Aber wer kann schon was dafuer, wenn mitten in der Pampa ein uralter Gueterwaggon entgleist und die marode eingleisige Strecke blockiert. Zudem wurde unser Zug ja gebraucht, um das notwendige Werkzeug zur Reparatur an Ort und Stelle zu transportieren. Also: mora-mora: immer mit der Ruhe.
Immerhin: zurueck aus dem Busch erscheint uns das Stadtleben fast luxurioes. Sogar die eine oder andere naechtliche Strassenlaterne sorgt hier fuer Licht. An den beiden Tagen davor war ich mehrmals dankbar gewesen fuer meine letzte Anschaffung vor der Reise: eine Dioden-Stirnlampe von Petzl.
Eindruecklich ist die Begegnung mit Jugendlichen in der Stadt. Einige von ihnen lernen in der Schule Deutsch oder Englisch. Ein Junge will Elektriker werden, ein anderer Informatiker. Nach einer Weile zeigen sie uns selbst gebastelte Karten und Briefumschlaege, die sie uns verkaufen wollen. Die Begruendung: sie wollen sich von dem Geld Schulhefte kaufen – einfache linierte Schreibhefte! Ein Heft kosten 2.000 Ariary, fuer uns 80 Cents. Wir gehen mit ihnen zum Laden und kaufen die sechs dort vorhandenen Hefte, um sie dann gegen die Karten zu tauschen. Ein paar Jungs gehen leer aus, da wir nicht allen was abkaufen wollen. Irgendwie ist das nicht optimal.
Am Abend gehen wir mit Roger und Erie „Brochettes“ essen - was immer das ist. Wir nehmen am Strassenrand auf den wackeligen Hockern einer Garkueche Platz. Die Bedienung bringt uns eine grosse Fleischplatte – mit rohen Huehnchenteilen. Jeder sucht sich aus, was er moechte, anschliessend wird es gegrillt. Dazu gibt es gruenen Salat und Bier – koestlich! Dass der Salat mit grosser Wahrscheinlichkeit in Wasser gewaschen wurde, das nicht unseren Hygienevorstellungen entspricht, vergessen wir mit voller Absicht. Spaeter, im Hotel, werfen wir vorsichtshalber noch eine Perenterol-Tablette fuer den Magen ein.
Dienstag, 30. Mai 2006: Madagascar: Natur und SozialesHeute besuchen wir das Lemure Forest Camp, ein Oeko-Tourismus-Projekt, das sich dem Erhalt des Primaerwalds und der Wiederaufforstung verschrieben hat. Eine wichtige Sache, wenn man bedenkt, dass die hier uebliche Brandrodung zwar kurzfristigen Nutzen (Weideland fuer die Rinder, neue Reisfelder etc.) bringt, langfristig aber bereits zu massiver Erosion und Versteppung der Landschaft und damit zur Verarmung der Bauern fuerht.
Am Abend geraten Roger und ich dann noch ins Politisieren, und ich erfahren noch einiges ueber die gesellschaftliche Situation:
Auf dem Land werden viele Maedchen schon mit 16 Jahren schwanger, der Vater ihrer Kinder bleibt unbekannt. Viele der kleinen Kinder, die so arm sind, dass sie um Geld betteln, stammen von diesen alleinerziehenden Muettern. Zum Glueck gibt es aber oft doch noch einen funktionierenden Familien-Zusammenhalt, der aushilft.
Und wie ueberall in Afrika ist Aids auch in Madagascar eine oft zu wenig ernst genommene Seuche.
Das Gespraech fesselt mich so, dass ich gar nicht merke, wie Simone waehrend des Abendessens die Haelfte ihres Zebu-Steaks an Erie abgibt. Na ja, schliesslich reden die beiden auch Englisch miteinander, waehrend ich mich mit Roger in Franzoesisch versuche. Ansonsten wird bei uns am Tisch zwischendurch auch noch Deutsch und Madagassisch gesprochen.
Mittwoch, 31. Mai 2006: Adrian Plass in MadagascarWieder zurueck in Tana, lese ich in dem Buch „The son of God is dancing“, das Adrian & Bridget Plass ueber Erlebnisse in Sambia geschrieben haben. Ich finde, vieles passt auch fuer Madagascar:
„Seit unserer Rueckkehr aus Sambia sind Leute einer nach dem anderen zu mir gekommen, um ihre Besorgnis zu aeussern, ob denn, wenn sie Sponsoren wuerden, auch all ihr Geld bei der Person ankommen wuerde, die es braucht. Wenn naemlich nicht, wollten sie nichts damit zu tun haben, zumindest vorlaeufig. … Ich weiss ja, wie es diesen Leuten geht. Mir ging es nicht anders. Ich will ja auch reif mit meinem Geld umgehen - mich vergewissern, dass ich nicht hinters Licht gefuehrt werde. Sicher, irgendwann in der Zukunft werde ich mich fuer eine lohnende Sache einsetzen, aber das muss warten, bis jemand mir beweisen kann, dass mein Geld auch richtig eingesetzt wird. Ich habe selbst genug solches Zeug gemurmelt. Und ich schaeme mich dafuer.
Lieber Himmel, wir reden hier ueber einen Euro pro Tag. Was machen wir denn mit unserem Euro, nachdem wir entschieden haben, ihn lieber nicht irgendwelchen Auslaendern anzuvertrauen? … ich schaetze, wir koennten uns eine Zeitung kaufen und uns ueber die schrecklichen Probleme in den Entwicklungslaendern informieren. Das ist vielleicht ein bisschen zynisch, nicht wahr? Ein bisschen aufdringlich. Dann will ich Ihnen stattdessen ein paar Bilder malen: …
… Um etwas Wasser zu anderen Kontinenten zu bringen, brauchen wir eine Pipeline. Das ist zunaechst einmal mit Kosten verbunden. Dann wird die Pipeline, da wir ja noch unerfahren sind, zwangslaeufig undichte Stellen haben. Wasser wird vergeudet werden. Wenn wir aber Verantwortliche haben, die sich mit aller Kraft dafuer engagieren, das System zu verbessern, dann wird … allmaehlich… weniger Wasser austreten und immer mehr davon wird in den Gegenden ankommen, die es brauchen.
… Genau genommen werden die Zweifler Recht behalten. Die Durstigen werden nicht jeden Tropfen bekommen, der ihnen urspruenglich zugedacht war, aber sie werden eine ganze Menge mehr bekommen, als wenn sich erst gar keiner die Muehe gemacht haette, ihnen welches zu schicken.“
Donnerstag, 01. Juni 2006: MissionareWir fahren mit Jean-Noel und Odette zu anderen in der Stadt wohnenden Missionaren (nein, ich meine nicht Lucien). „In der Stadt“ – na ja: in einer Festung mit eigenem Torwaechter, innen drin ein Park samt Gaertner und eine ganze Anzahl von besseren Haeusern. Um ehrlich zu sein, Simones und mein erster Gedanke: ach, so laesst es sich also als Missionar im Ausland leben?! Ja, und der zweite Gedanke war dann auch kein anderer. Mag ja sein, dass die Haeuser innen nicht so protzig sind wie sie aussen wirken, und bei Gott zaehlt ja schliesslich das Innenleben mehr…
Wie unspekatakulaer anders und bescheiden leben da doch unsere Forschles. Klar: Als Europaeer in Madagascar gehoert man automatisch zur Oberschicht – zumindest dann, wenn man auch noch ein Auto besitzt, per Telefon und eMail erreichbar sein will und eine Waschmaschine sein eigen nennt. Und ich finde, dass es Missionaren in Entwicklungslaendern nicht unbedingt schlechter gehen muss als uns in Europa. Nur: alles will gut bemessen sein. Wenn ich mir als Laie da ueberhaupt ein Urteil erlauben darf, wuerde ich sagen: schaut mal bei Forschles nach, da findet ihr ein gutes Mass in Sachen Lebensstandard fuer Missionare.
Freitag, 02. Juni 2006: MikoloEin weiteres madagassisches Wort: Mikolo. Es heisst so viel wie: eine kleine Pflanze hegen, pflegen, behutsam aufziehen. Mikolo ist der Name der Schule, die Lucian in Alasora gegruendet hat. Wir besuchen sie heute noch mal, denn ab der kommenden Woche werden Jean-Noel und Odette hier eine Schulspeisung einrichten.
60 Kinder aus den umliegenden Doerfern besuchen diese Grundschule. Zu den bestehenden 2 Klassen wird ab September eine dritte hinzukommen, so dass dann 90 Kinder dort sein werden. Lucian und seine Frau Brigitte fuehren uns gemeinsam mit dem einheimischen Pastor in eines der fuenf umliegenden Doerfer, aus denen die Kinder kommen. Wir besuchen eine Mutter in ihrem Haus: ueber eine Stiege, die mehr einer Leiter aehnelt, erreichen wir die obere Etage (die untere ist anderweitig bewohnt). Die Luft ist rauchgeschwaengert vom Feuer der Kochstelle, einen Kamin gibt es nicht. Dann betreten wir das einzige Zimmer, in dem die Frau mit ihren beiden Kindern lebt, ein drittes ist unterwegs. In der Dunkelheit des kleinen Raums entdecken wir zwei Betten, eine winzige Sitzgelegenheit und ein Regal mit ein paar Haushaltswaren. Das wars. Kein Wasser, kein Klo, keine Elektrizitaet, kein Schrank, kein Fensterglas.
Wir gehen weiter und besuchen ein anderes Haus. Der einzige Raum ist ca. 3 x 4 m gross, ein Bett steht drin und eine Schilfmatte (als Schlafstaette fuer die Kinder) liegt auf dem Boden. An der Wand ein verstaubtes Poster und ein paar alte Plastikblumen. Hier lebt eine weitere Familie mit ihren fuenf Kindern, drei von ihnen koennen die Mikolo-Schule besuchen. Der Mann ist bei der Arbeit, er verdient als Bauarbeiter an einem guten Tag 5.000 Ariary. Die Haelfte dieses Betrags werden Simone und ich am Nachmittag fuer eine Flasche Cola ausgeben.
So geht es weiter im Dorf, und als fotografierender, Schuhe tragender und tendenziell uebergewichtiger Weisser komme ich mir immer mehr deplatziert vor. Die Dorfbewohner hingegen bedanken sich fuer unseren Besuch.
Samstag, 03. Juni 2006: ProjektplanungHeute bringe ich die Projektplanung mal so weit zu Papier, nein, auf Jean-Noels Festplatte, wie sie bisher steht:
Phase I:
Ab dem kommenden Dienstag werden Odette und Jean-Noel also in Alosora an der Mikolo-Schule eine Schulspeisung anbieten. Nach den bisherigen Eindruecken eine wahrhaft sinnvolle Einrichtung. Wir kalkulieren das Ganze mal durch: 4 Einheimische sollen dadurch auch einen Arbeitsplatz erhalten (ja, man koennte auch weniger Leute anstellen, aber das Projekt soll auch Arbeitsplaetze schaffen): 20 Euro pro Kind und Monat, und die Versorgung steht! Zunaechst einmal sind es 60 Kinder, ab September werden dann 90 Kinder versorgt.
Phase II:
Das Haus direkt neben dem momentanen Wohnhaus von Forschles war frueher ein Kinderheim. Diesem Zweck soll es ab Sommer wieder dienen: Es wird ein oertlicher Verein Trotroina gegruendet, der das Haus anmieten und als (zunaechst kleines) Kinderheim betreiben wird. 10 Kinder sollen erst mal aufgenommen werden.
Phase III:
Da brauchen wir noch viel Klarheit und Gebet: Das Ziel ist, das Kinderheim zu vergroessern und ein Kinderhilfszentrum mit Schule und Gesundheitszentrum daraus zu machen. Dazu braucht es noch den geeigneten Ort (derzeit konkurrieren Alosora und der Buergermeister eines anderen Ortes miteinander, beide haben schon ein Grundstueck angeboten). Und jede Menge an Papierkram muss noch im Vorfeld erledigt werden, auch Entwicklungshilfegelder wollen dazu noch beantragt sein. Also, auch hier gilt: moramora: immer mit der Ruhe.
Pfingstsonntag, 04. Juni 2006: GottesdienstWir besuchen den Gottesdienst der Assemblée de Dieu in Ivato – und werden, obwohl wir ueberraschend kommen, sofort als Ehrengaeste in die erste Reihe gelotst. Jean-Noel wird sofort gebeten, heute zu predigen, was er dann auch tut. Ich darf (soll, muss!) ein paar Grussworte an die weit ueber 300 Besucher fassende Gemeinde richten. Puh, meine mageren Franzoesisch-Kenntnisse werden aufs Aeusserste strapaziert. Ein Glueck, dass der Grossteil der Anwesenden der frazoesischen Sprache nicht maechtig ist und die Ueberseztung ins Madagassische hoert…
Festlich sind sie herausgeputzt, die Menschen heute am Pfingstsonntag. Farbenfroh, mit ihren besten Anzuegen und Kostuemen, feierlich, wuerdevoll. Fuer den Gottesdienst geben sie ihr Bestes.
Drei Mal wird eine Kollekte erhoben, drei Mal wird die Gemeinde eingeladen, ihre Gaben nach vorne zu bringen: Zuerst ganz allgemein fuer die Gemeinde. Dann in einer zweiten Runde fuer das Gemeindehaus – als Ruecklage fuer bauliche Veraenderungen, denn Kredite gibt’s hier nicht. Und zuletzt wird ein Tisch aufgebaut, auf dem Naturalien fuer den Pastor abgelegt werden. Das alles, obwohl die Leute hier – auch wenn sie nicht zu den Aermsten gehoeren – nicht viel haben. Und wir in Deutschland haben manchmal schon Muehe damit, einmal am Sonntag um ein Opfer zu bitten.
Dann die Musik: die madagassischen Sounds erinnern an karibische Rhythmen. Laut muss es sein, lang und intensiv, und es steckt einfach an, hier zuzuhoeren und zuzuschauen. Von den Liedern kennen wir kaum eines. Nein, die Madagassen sind in Sachen Musik und Gottesdienst keine Eurpoa-Kolonie, sondern haben ihre eigene Form entwickelt, und das ist gut so.
Nach drei Stunden geht der Gottesdienst zu Ende. Wir werden kurz vor dem Ende nach draussen gelotst und haben nun das Vorrecht, mehr als 300 Haende zur Begruessung und zum Abschied zu schuetteln.
Pfingstmontag, 05. Juni 2006: Marc und Mme L.Marc war uebers Wochenende auch noch da. Er ist Vazaha – ein Europaeer, der im Suedosten der Insel von der Landwirtschaft lebt. Ein Aussteiger. Er haelt Milchkuehe: fuer jede Kuh hat er einen Angestellten, der nur dafuer zustaendig ist, Futter fuer die Kuh zu besorgen. Gestern flog er dann fuer ein paar Wochen nach Paris, heute duerfte er dort angekommen sein.
Marc konnte die tollsten Geschichten ueber die Madagassen erzaehlen: Manchmal, wenn sie Kleider geschenkt bekommen, ziehen sie die nicht etwa an, sondern verkaufen sie weiter. Deswegen bestand er manchmal schon darauf, dass sie ihre alten Sachen verbrennen, bevor er ihnen neue schenkt. Aber auch hier wieder die gleiche Haltung, die ich auch bei Jean-Noel entdecke: Nein, man kann den Madagassen nicht boese sein fuer so was: Sie sind teilweise so arm, dass sie dringender Geld fuer Lebensmittel oder eine Kerze brauchen als neue Kleidung. Natuerlich gilt das nicht fuer alle, aber eben doch fuer einen grossen Teil der Bevoelkerung. Auch wenn uns Kinder um einen Kuli oder ein anderes Geschenk bitten, kann es sein, dass sie das nicht fuer sich behalten, sondern eintauschen gegen etwas, was sie dringender brauchen.
Am Nachmittag fahren wir dann zu Mme L., der Witwe des ehemaligen Chefarzts der Zentralapotheke Madagascars. Sie lebt in einem Haus in einem der vielen Vororte Antananarivos. Das Haus ist gross, aber innen einfachst ausgestattet: viele Tueren fehlen, auf dem Boden Estrich, fertig. Mme L. ist neben ihrem Beruf als Krankenschwester in ihrem Dorf beim Roten Kreuz sehr engagiert. Mit Gelder der Gartenbaufirma Schwarz in Kehl hat Jean-Noel ihr im letzten Jahr geholfen, eine Grundschule fuer das Dorf zu bauen. Wir besichtigen die Schule, sie ist schoen gross geworden. Einziges Handicap: es gibt (noch?) kein Wasser. Jean-Noel berichtet Mme L., dass er jetzt fuer eine deutsche Missionsgesellschaft arbeitet und ein Kinderheim aufbauen wird. Sofort wird er eingeladen, dies in ihrem Dorf zu tun, ein paar weitere Frauen, die auch da sind wuessten sogar schon ein Grundstueck…
Dann kommt der geschaeftliche Teil: Die Tochter von Mme L., macht handgefertigte Taschen – madagassisches Kunsthandwerk, sehr schoen. Sie sucht nach einer Export-Moeglichkeit nach Europa und schenkt Mme Siegrist zu diesem Zweck eine Tasche. Eine weitere kaufen wir fuer 4.000,- Ariary – 1,60 Euro.
Wieder einmal bin ich angetan von den vielen guten Kontakten, die Jean-Noel zu den verschiedensten gesellschaftlichen Kreisen hier hat. Und ich verstehe auch, warum es nicht einfach ist, mit einer fuer deutsche Massstaebe zielorientierten und gruendlich durchgeplanten Arbeit zu beginnen: Jeder hier koennte Hilfe ernsthaft gebrauchen, und manchmal erscheint das Ganze auch wie ein Fass ohne Boden.
Dienstag, 6. Juni 2006: UrlaubWir fliegen nach Sainte-Marie, einer lieblichen Tropeninsel vor der Ostkueste Madagascars. Permanent 26 °C und 78 % Luftfeuchtigkeit erwarten uns. Dazu palmengesaeumte Standstraende, Sonne, ab und an Regen, Ruhe. Urlaub.
Mittwoch, 7. Juni 2006: Das MeerFuer Madagassen ist das Meer kein Ort zum Baden und Erholen. Es ist gut, um Fische zu fangen. Aber ansonsten ist es eher ungeheuerlich – auch der Haie wegen, die es hier gibt. Deswegen sind die Straende auch fast menschenleer.
Aber immerhin: der beginnende Tourismus und das Meer tragen dazu bei, dass die Menschen hier nicht ganz so arm wirken wie an anderen Orten, die wir bisher kennen gelernt haben. Die Naehe zum Meer schlaegt sich hier (aber auch im Rest-Madagascar) auch auf der Speisenkarte nieder: sehr fischfaeltig.
Donnerstag, 8. Juni 2006: AmbohifotatraMit dem Taxi-Brousse fahren wir zur 10 km entfernten Inselhauptstadt. Nach 30 min Schlagloch-Piste sind wir froh, dass wir aussteigen koennen. Ich suche eines der zwei vorhandenen Cyber-Spaces auf, wie die Internet-Terminals hier genannt werden. Aber ich habe kein Glueck, denn der einzige PC dort ist besetzt. Im anderen Cyber-Space stehen zwar mehrere Terminals, aber die sind alle tot.
Trotzdem: auch hier, in der Inselhauptstadt ist es lieblich, alles geht einen Tick langsamer als auf dem Festland (was natuerlich nicht heisst, dass dort die Dinge schnell gehen…). Die Menschen sind ausnahmslos freundlich.
Freitag, 9. Juni 2006: wilde FreundeWanderung an die Westkueste der Insel, durch Regenwald, Bananenfelder und ueber Rinderweiden. "…unterwegs begegneten wir spaerlich bekleideten, mit Macheten bewaffneten Schwarzen, die uns aus ihren dunklen Augen anblickten…" So koennte man es ausdruecken, und damit die Wahrheit und dich das Falsche sagen. Denn Tatsache war, dass uns die Madagassen gerade in den entferntesten Ecken des Landes immer wieder mit ihrer Freundlichkeit ueberraschten ("Bonjour, monsieur-dame, ça va?!") und uns nie das Gefuehl vermittelten, unwillkommene oder leicht auszubeutende Eindringlinge zu sein.
Samstag, 10. Juni 2006: Ein Hemd fuer den toten PapaBettelnde Kinder: immer noch ein schwieriges Thema fuer uns. Das wird es auch bleiben.
Gestern redete ich noch mit einem ungefaehr 10jaehrigen Jungen, der mich schon drei Tage lang um ein "T-Shirt pur le père" angebettelt hatte. Und ich erlebte, was mir Marc und Jean-Noel schon berichtet hatten: als ich ein bisschen weiter bohrte, erzaehlte er, seine Mutter sei krank und der Vater sei gestorben. Aber ein T-Shirt fuer den toten Papa nimmt er gerne… Als wir das alles dann klar gestellt hatten und er meine Abneigung gegen sein Betteln wohl halbwegs kapiert hatte, hat Simone ihm heute einige Stangen Vanille abgekauft, die er auf unsere Anfrage hin fuer uns aufgetrieben hat.
Sonntag, 11. Juni 2006: PrivatesUnsere Zeit auf der Insel geht dem Ende zu. Wir ziehen um in ein Hotel am Hafen, um morgen frueh um Uhr mit der ersten und einzigen "Faehre" des Tages (genauer gesagt: mit einem kleinen Passagier-Ausflugsboot) nach Soaniera-Ivogno ueberzusetzen.
Simone stellt fest, dass mein Reisebericht doch sehr einseitig ist. Stimmt. Denn schliesslich machen wir ja auch Ferien: wir faulenzen, wandern, radeln, essen gut und exotisch, suchen Fotomotive, lesen, geniessen. Aber ein Stueck unveroeffentlichtes Privatleben muss ja auch bleiben…
Und Tatsache ist: auch heute wandern unsere Gedanken und Gespraeche wieder zurueck zu unseren Missionaren Odette und Jean-Noel. Was uns naemlich jetzt, nachdem wir sie ein paar Tage nicht gesehen haben, noch mehr haengen bleibt: ihr Gottvertrauen. Im Alltag. In grossen und kleinen Dingen. Und sie erleben, dass das Gottvertrauen auch belohnt wird. Ganz einfach. Wenn wir doch davon was mit nach Europa nehmen koennten!
Montag, 12. Juni 2006: HafenhotelWarum muessen Hotels am Hafen immer schlecht sein, und warum merken wir uns das nicht? Die Nacht von Sonntag auf Montag, Hotel La Banane in Ambodifotatra: Es war ein 'Bungalow', eine Gartenbaracke in unmittelbarer Naehe zum veralteten und entsprechend lauten Diesel-Stromgenerator der Insel, fuer den Geruch aus dem Klo fand Simone den netten Begriff Blumenkohl (ich ergaenze: vergorener Blumenkohl), die Matrazte war fuer den Bettrahmen zu gross, am Moskitonetz fanden sich groessere Blut- und sonstige Spuren, in den Ecken des Bungalows Ratten- oder Maeusekot. In der Nacht hatte Simone dann trotz des Moskitonetzes ploetzlich einen 5 cm langen Kaefer im Gesicht, und ich kaute auf irgendwelchem Staub, der von der Decke kam, rum. Kurz: eine Nacht ohne Schlaf. Ein solcher Abschied passte eigentlich nicht zur Insel, aber im Land der Gegensaetze scheint das dazu zu gehoeren.
Dienstag, 13. Juni 2006: TouristaLa Tourista: so nennt man hier das Phaenomen, wenn empfindliche Westler mit dem Klima und dem Essen nicht zurecht kommen und das mit ueberdurchschnittlich hauefigen und intensiven Toiletten-Besuchen quittieren. Natuerlich darf ich auch das nicht auslassen, dass noch Kopf- und Gliederschmerzen und Uebelkeit hinzu kommen, stand aber nicht auf der Rechnung.
Egal, schliesslich ueberlebe ich die 5stuendige Kurvenfahrt im Taxi-Brousse von der Kuestenstadt Tamatave ins Hochland. Dort, in Andasibe, erwartet uns ein beeindruckender Regenwald-Nationalpark mit mit Lemuren, 140 Vogelarten und noch mehr endemischen Pflanzenarten. Da heute und morgen aber nicht viel mit mir anzufangen ist, nehmen wir uns vor, hier bei unserem naechsten Madagascar-Besuch ein paar Tage Aufenthalt einzuplanen.
Mittwoch, 14. Juni 2006: Rueckkehr zu ForschlesIch sitze im Taxi-Brousse auf der hinteren Sitzbank. Vor mir Simone, rechts von ihr und noch mal vor ihr sitzen noch zwei weisse Studentinnen aus Suedafrika. Gleich vier Vazahas in einem Minibus, das ist eine Sensation. Meine beiden Nebensitzer unterhalten sich lange, ich verstehe nichts, ausser dass es irgendwie um Frankreich, USA und/oder England geht. Dann, bei der Pinkelpause, als die drei Maenner der hinteren Sitzbank in einer Reihe am Strassenrand stehen, bricht der Damm: sie fragen, ob ich franzoesisch spreche (sie sprechen es so gut wie nicht). Ich erklaere ihnen, dass Simone und ich Deutsche sind, und sorge damit nachher fuer uebergrosse Freude und Erheiterung im ganzen Bus. Deutsche an Bord zu haben, scheint eine besondere Ehre zu sein. Schade, dass ich kein madagassisch sprechen kann, so bleibt unsere Unterhaltung sehr eingeschraenkt.
Als wir dann am spaeten Nachmittag zu unserer Familie Forschle zurueckkommen, ist es fast wie ein Nach-Hause-kommen. Es ist schoen, wieder da zu sein. Einiges hat sich in der Zwischenzeit ergeben: Die Schulspeisung an der Mikolo-Schule hat begonnen, die Kinder waren am Anfang schier nicht satt zu kriegen. Die Gemeinde der Assemblée de Dieu in Ivato, die wir vor eineinhalb Wochen besucht hatten, hat Jean-Noel engagiert. Der Pastor der Gemeinde kam vor einiger Zeit bei einem Ungluecksfall ums Leben, seine Frau leitet die Gemeinde jetzt, wuenscht sich aber Unterstuetzung. Jean-Noel wird sie ihr voruebergehend geben und regelmaessig dort predigen. Dann haben ihn Gemeinden aus dem Nordwesten der Insel eingeladen fuer Evangelisations- und Schulungstage im Juli. So wird er fuer eineinhalb Wochen dorthin fahren. Zudem haben jetzt schon vier seiner frueheren Mitarbeiter im Centre Fitahiana gekuendigt, obwohl Jean-Noel sie nicht abwerben wollte: Dada, der Fahrer, Florent, der Handwerker, Holy, die Lehrerin und Christobel, der Lehrer und Uebersetzer. Sie hoffen auf eine baldige Anstellung im neuen Centre Trotroina. Allerdings: diesbezueglich mahlen die Muehlen langsam: Immer noch gibt es keine Klarheit ueber das neue Zentrum, aber weitere Huerden: Das Visum fuer Foerschles muss noch bestaetigt werden, ein einheimischer Verein ist zu gruenden, vor allem ist der Ort des neuen Zentrums noch nicht klar. Aber immer mehr merke ich, dass es auch gut ist, wenn das Tempo hier nicht deutsch, sondern madagassisch ist: so kann die Arbeit Schritt fuer Schritt entstehen. Und auch der madagassischen Buerokratie, die noch komplizierter scheint als die deutsche, muss Rechnung getragen werden.
Donnerstag, 15. Juni 2006: RechtlichesWir fahren noch mal nach Alasora zur Mikolo-Schule. Eigentlich war geplant, dass wir unterwegs noch die bestellten Tische und Baenke fuer die Suppenkueche auf den Anhaenger laden, denn im Moment essen die Kinder noch auf dem Boden. Aber leider gibt’s beim Schreiner Verzoegerungen, und er verspricht, die Bestellung am kommenden Mittwoch zu liefern.
Dann geht es vor Ort um die Arbeitsvertraege fuer die Kuechenfrauen: Ueblich ist hier, dass die Leute nicht zur Sozialversicherung angemeldet werden, obwohl es eigentlich Pflicht ist und von Vorteil fuer die Angestellten ist. Aber es ist eben auch teurer, und so sparen auch die Missionen Geld, wenn sie den ueblichen Gepflogenheiten folgen. Jean-Noel setzt sich dafuer ein, dass "seine" Leute von Anfang an bei der Sozialversicherung gemeldet werden, das imponiert mir.
Am Nachmittag machen wir uns an die Ueberseztung der Vereins-Satzung fuer den Trotoina-Verein, die Jean-Noel schon in der franzoesischen Sprache vorbereitet hat. Der Verein wird sich aehnlich wie ein deutscher Verein konstituieren, mit dem Ziel, Menschen in Not zu helfen, ein Kinderheim zu gruenden, das Evangelium zu verbreiten und medizinische Hilfe zu geben.
Am Abend gehen wir noch zusammen essen – in eines der wenigen High-End-Lokale Madagascars. Wir tafeln aufs Fuerstlichste, zu einem Bruchteil der Kosten, die uns dieser Luxus in Europa kosten wuerde. Auf dem Rueckweg nach Hause fuhert Jean-Noel uns dann noch durch den Strassentunnel, in dem viele Obdachlose in ihren Kartons leben. Ein Land der Widersprueche.
Freitag, 16. Juni 2006: AbschiedHeute sind wir noch zu einem Gespraech bei der GTZ (Gesellschaft fuer technische Zusammenarbeit), einem der grossen vom deutschen Staat betriebenen Entwicklungshilfeunternehmen. Wir werden versuchen, fuer das neue Zentrum auch Entwicklungshilfegelder zu erhalten. Ob das gelingt, ist noch offen, denn es gibt noch so gut wie kein deutsches Engagement im Sozialsektor, an dem wir uns orientieren koennten. Aber einen Satz unseres Gespraechspartners, eines ranghohen deutschen Beamten, werde ich nicht vergessen: „Madagascar hat beste Voraussetzungen fuer ein gutes Gedeihen, aber es funktioniert nicht. In diesem Land sind dunkle Kraefte am Werk“. Was immer er damit meint, er fuehrt es nicht aus.
Spaeter ergaenze ich in meinen Gedanken: „Wir werden dem helle Kraefte entgegen setzen“.
Gegen Abend werden wir wehmuetig: unsere Zeit geht zu Ende. Es war mehr als Urlaub. In einem der aermsten Laender der Welt wurden wir reich beschenkt: von der Liebe und Gastfreundschaft, die uns Jean-Noel und Odette entgegen gebracht haben, von der Hoffnung, die die Christen hier leben und verbreiten, von vielen Endruecken, die unseren begrenzten europaeischen Horizont erweiterten. Wir kamen als Reiche, mit vielen kleinen materiellen Geschenken im Gepaeck, die aber bald aufgebraucht waren. Jetzt gehen wir wieder als Reiche, den Reichtum dieser Erfahrungen kann uns niemand mehr nehmen.
Am spaeten Abend bringen uns Jean-Neol, Odette und Angele dann zum Flughafen. Eine gewisse Traurigkeit liegt ueber uns, denn wir muessen uns von guten Freunden verabschieden.
Samstag, 17. Juni 2006: RueckkehrDa sitzen wir im Flieger, etwas apathisch nach der langen Nacht. Die Crew hat das Fruehstueck gereicht, auf den Tabletts blieben so viele Reste zurueck, dass eine ganze Schulklasse in Alasora davon satt geworden waere. Ich habe Sorge: Wie viele Stunden wird es brauchen, bis ich meine madagassischen Freunde vergessen habe? Wir leben in einer Welt, und doch sind wir so weit entfernt.
Es wird noch Zeit brauchen, bis ich alles verarbeitet habe. Zwei Gedanken aber beschaeftigen mich heute schon:
Ich habe mich immer etwas schwer getan, Situationen in einem Land oder einer Gegend auch mit geistlichen, uebernatuerlichen Dimensionen oder Kraeften in Verbindung zu bringen. Aber: wer in Madagascar solche Verbindungen leugnet, muesste schon taub und blind gleichzeitig sein.
Das andere: Ich will in Zukunft viel aufdringlicher sein, wenn es darum geht, Menschen im Westen dazu zu bewegen, Gelder fuer Hilfsprojekte in Madagascar zu geben. Und ich glaube, dass gerade die Christen und die Kirchen Vorreiter im Geben sein muessen.
Simone und mich wird Madagascar so schnell nicht mehr loslassen: das Land ist zu schoen, die Menschen zu liebenswuerdig, aber auch das Elend zu groß, um die Erinnerung nur in einem schoenen Urlaubsalbum zu konservieren.